Am 06.11.2022 fand die jährliche Gedenkfeier auf dem jüdischen Friedhof in Werther statt.
Sigrid Ellerbrake verlas zur Begrüßung folgenden Text:
Der Historiker Saul Friedländer [1], Überlebender der Shoah, berichtet von schrecklichen Angstanfällen, die ihn als jungen Wissenschaftler plagten, wenn er in den deutschen Archiven, im Land der Täter arbeitete. Das war in den 1960er Jahren.
Eine ähnliche Erfahrung hat Mia Weinberg gemacht, Tochter der Eheleute Charlotte und Kurt Weinberg, als sie mit ihrem Vater dessen Heimatstadt Werther besuchte. Ein beklemmendes, ängstliches Gefühl hat sie beschlichen. Durch ihre künstlerische Tätigkeit schafft die Kanadierin eine Form der Auseinandersetzung, die es ihr viele Jahre später ermöglicht, offen auf die Menschen der Stadt zuzugehen, aus der ihr Vater 1939 fliehen musste.
Wir gedenken heute derjenigen Menschen, die durch die nationalsozialistischen Gräueltaten ihre Heimat verlassen mussten, die verfolgt, entrechtet und deren Familien zersplittert wurden. Wir gedenken der verwaisten Kinder, die, wie Saul Friedländer, nur durch Zufälle und das mutige Eingreifen von einigen wenigen Menschen überlebt haben.
Wir gedenken der vielen Menschen, die nicht rechtzeitig emigrieren konnten.
Wir gedenken der 6 Millionen ermordeten Juden in Deutschland und in Europa. Wenn wir an den 9. November 1938 erinnern, wissen wir doch, dass die Reichspogromnacht zwar eine Zäsur in der systematischen Entrechtung der jüdischen Bürger war, aber noch lange nicht das Ende.
Saul Friedländer hat die Einladung in die Paulskirche im Jahr 2007 zur Verleihung des Friedenspreises und auch die Einladung in den Bundestag Im Jahr 2019 gerne angenommen. Vor dem deutschen Bundestag reflektiert er den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit: „Dank seiner langjährigen Wandlung nach dem Krieg ist Deutschland eines der starken Bollwerke gegen die Gefahren geworden wie Antisemitismus, Fremdenhass, die Verlockung autoritärer Herrschaftspraktiken und einen sich immer weiter verschärfenden Nationalismus.“
Mit 90 Jahren beteiligt sich Saul Friedländer noch immer am Diskurs über die Erinnerungsarbeit.
Mia Weinberg kommt inzwischen gerne nach Deutschland. Sie hat Freundschaften geschlossen und ihre Kunst hat hier einen festen Platz gefunden.
Wir wissen, dass ihre langjährige Wandlung durchaus schmerzhaft war und dass sie einen fortwährenden Prozess darstellt. Lassen Sie uns dazu beitragen, dass unser Zusammenleben in Deutschland und in Europa geprägt ist von Toleranz, Menschlichkeit und Freiheit!
Ich begrüße Sie im Namen der Kirchengemeinden zur Gedenkstunde auf dem jüdischen Friedhof.
Wir werden heute von Erfahrungen eines Besuches im Konzentrationslager Bergen-Belsen hören. Dafür danke ich der Gruppe der katholischen Kirchengemeinde, die diesen Erfahrungsbericht vorbereitet hat. Ich danke dem Kantor der jüdischen Gemeinde Bielefeld, Herrn Paul Yuval Adam, für sein Kommen. Sie werden das El male Rachamin vortragen. Ich danke dem Posaunenchor Langenheide für die musikalische Gestaltung. Meike Brinkmann danke ich für das Klarinettenspiel. Für die technische Unterstützung danke ich Volker Becker.
[1] Saul Friedländer ist ein israelischer Historiker und Autor. Wikipedia
Geboren: 11. Oktober 1932 (Alter 90 Jahre), Prag, Tschechien
Während der Gedenkfeier berichteten außerdem Mitglieder der Katholischen Kirchengemeinde St. Michael in Werther von ihren Erlebnissen im Rahmen eines Besuches des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen Belsen.
Die Texte sind im folgenden als PDF-Dokument hinterlegt: